Hugo Bachem:

Ich möchte Leben. Skandinavisches Tagebuch eines verschollenen Medizinstudenten 1942-1944.

1. Aufl. 2006, 496 S., Gb., mit 35 Abbildungen.

ISBN 10:  3-9808973-6-2.  ISBN 13:  978-3-9808973-6-5.   

Ladenpreis 22,80 €.

Beschreibung

Dieses Kriegstagebuch erzählt keine militärischen Kampfhandlungen.


Es ist die Geschichte einer Auseinandersetzung mit der ersehnten, aber nicht gelingenden Liebe, mit Vollkommenheitsidealen und mit dem erahnten Tod. Das Tagebuch dient hier auch der Selbstbehauptung gegen die Banalität und die Zwänge des militärischen Alltags in der Etappe. Der Autor hält in eindrucksvollen Beschreibungen die ihm noch durch Kunst, Natur und Freundschaft gewährten Erfahrungen von Glück fest und sucht sich so eine Nische für ein sinnvolles Leben.

Die Aufzeichnungen des in Norwegen und Finnland 1942 – 1944 als Sanitäter eingesetzten Medizinstudenten zeigen einen genau und kritisch beobachtenden jungen Menschen im Zwiespalt zwischen verschiedenen geistigen Kräften und der Heroismusverherrlichung seiner Zeit. Sie geben durch die schutzlose Offenheit des Schreibers einen ungewöhnlichen, von späteren Gedächtnisanpassungen und political correctness unverfälschten Einblick in eine historisch gewordene Weltsicht, betreffen aber auch immer aktuell bleibende Lebensfragen. Der Krieg und die um sich greifende Barbarei sind im Umfeld gegenwärtig. Die eindringlich geschilderte skandinavische Landschaft bildet den Hintergrund.


Das Tagebuch dieses 20-21-Jährigen ist sehr lesenswert für Leser, die an einer scharfsichtigen und kritischen Selbst- und Weltanalyse eines jungen Menschen in der Adoleszenz oder an der Bewusstseinslage eines intellektuellen Jugendlichen in der damaligen Zeit interessiert sind. Sichtbar wird auch die Heilsamkeit des Tagebuchschreibens in einer Lebenskrise. Erstaunlich sind der unerschütterliche Selbstbildungswille, der Umfang der Niederschrift, die kulturellen Erlebnismöglichkeiten in dieser Situation und der mit großer Sorgfalt gewählte Sprachstil.




Rezensionen und Zuschriften


          
„Ich bin ... ergriffen und sehr überrascht von der Tiefe der Gedanken, der Breite der Wahrnehmung, der Ausdruckskraft ... in so jungen Jahren.“

Prof. Dr. Ruth Römer, em. Prof. für Deutsche Philologie, Gütersloh.



           „>Ich möchte leben<, schreibt der Medizinstudent in sein Tagebuch. Als Sanitäter in den Jahren zwischen 1942 und 1944 in Norwegen und Finnland eingesetzt, wird er im Alter von 20 Jahren mit den Grausamkeiten des Krieges konfrontiert. Hugo Bachem ist kritisch, er ist begabt, begierig auf Wissen – und er ahnt den Tod. Mit den Tagebüchern seines  sieben Jahre älteren, verschollenen Bruders hat Rolf Bachem aus Bonn jetzt ein ebenso erschütterndes wie faszinierendes Zeitzeugnis vorgelegt.“

General-Anzeiger Bonn, 26. 5. 07,  (U. Strauch)



           „Ich bin sehr beeindruckt von diesem persönlichen, sehr intimen und bewegenden Zeugnis eines jungen Menschen in schwieriger Zeit. Da das Werk darüber hinaus von einer ausgeprägten Formulierungs- und Beobachtungsgabe zeugt, bildet es gewiss nicht nur ein lesenswertes Vermächtnis für die eigenen Familie [des Autors], sondern auch für einen Kreis von Interessierten darüber hinaus.“

Dr. Arnim Lang, Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam.



            „ ... Ein wunderbares Buch!“

Professor Thomas Müllenbach, Kunsthochschule Zürich.



            „Ich konnte mich kaum losreißen. Das Buch ruft viele verschiedene Regungen in mir hervor, ... [unter anderem auch] Trauer beim Lesen dieser so enorm lebendigen und vielversprechenden Gedanken und angesichts des Lebensdrangs und der Suche nach vorausliegender Erfüllung, die aus jeder Zeile sprechen. Er wird mir als Mensch so nahe durch das Tagebuch. ... Diese Stimme ist [auch] so interessant aus historischer Sicht, da sie noch mal wieder eine ganz andere Perspektive aus der NS-Zeit zeigt als die, die ich durch die Widerstandskämpfer (weiße Rose, ja auch Medizinstudenten!), die ev. Theologen (z.B. Bonhoeffer) oder die Hitlerverehrer kenne. ...“

Elisabeth Jennings, Pfarrerin in Vankleekhill und Kirkhill, Ontario.



            „Mich berührt am meisten die Ausdruckskraft, mit der Hugo B. sein innerstes Erleben, Empfinden, Denken, die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit sich selbst, so ehrlich, so offen ausdrückt. [ ... ] Das Buch hat für mich weit über den historischen Erinnerungswert hinaus Bedeutung. Ich empfinde es als große Bereicherung und auch als Bestätigung für den Wert  des Tagebuchschreibens als intensives Sich-selbst-Zuhören, besonders in Zeiten, in denen ein solch tiefes Sich-Austauschen mit einem anderen Menschen nicht mehr gelingt.“

Brigitte Krautwig, Psychotherapeutin, Köln.



           „Was für ein reflexionsreiches Buch sind diese mit großem Ernst geschriebenen Aufzeichnungen geworden. ...
b
eneidet habe ich ihn um seine Möglichkeit, Literatur aus den Soldatenbüchereien zu entleihen. Ich habe während meiner vierjährigen Militärzeit nicht einmal die Gelegenheit gehabt. Aber dann – was macht er aus dieser Lektüre !  Da geht der Neid in pure Bewunderung über. ... Wie er Filme und Bücher analysiert !  Mit welcher Kraft der poetischen Beobachtung er den Tanz von Daisy Spies beschreibt !  Nirgendwo werden diese Aufzeichnungen flach. Immer behauptet er Selbständigkeit des Denkens. ...

Eine wahrhaft bereichernde Lektüre. ... Möge das Buch in der Flut derzeitiger „Erinnerungsliteratur“ nicht untergehen.“

Prof. Dr. Walter Hinck, em., Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker der F.A.Z.



            „[Hugo Bachems] Tagebücher haben mich sehr beeindruckt, und sie werden mich sicherlich weiterhin beschäftigen. ...  Es bleibt eine für mich faszinierende Lektüre.“

Friedrich Schmitz-Floeder, Gymnasiallehrer i. R., Aachen.




Textproben


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Traum, der die Gleichartigkeit der Empfindungen in beiden Kriegsparteien zum Gegenstand hat. – Wir fahren in einem neutralen Land in einem Zug. Uns entgegen kommt ein englischer Transport, er fährt an uns vorbei, und die Eigentümlichkeit, dass wir wie sie in einem Halbwagen sitzen, also nur durch einen Gang voneinander getrennt sind, als ob wir in einem einzigen Zug säßen, lässt uns dicht beisammen sein. An mir vorbei fahren Verwundete aller Art. Schon dies Bild macht mir klar, dass ebensolches Leid wie bei uns auch drüben herrscht. Nun fährt der Zug langsamer, schließlich bleibt er stehen. Wir und sie betrachten uns mit einem ungewissen Gefühl. Sollen wir uns prügeln? Damit dem Kriege genüge getan wird? Wir meinen jedoch schließlich das gleiche: der Krieg wird auch mal aus sein, und dann schlagen wir uns auch nicht mehr. So entdecken wir unsere private Seele, die auch im Kriegsgeschehen noch in uns ist, und die mir nun manches erklärlich werden lässt.
Ich war viel zu sehr vom Kriegsgefühl gefangengenommen. Nun sehe ich auch den Menschen wieder hinter diesem immensen Streit, und es ist nicht mehr eigenartig für mich, dass in Stockholm und an anderen Orten Menschen verschiedener kriegführender Nationen ungezwungen nebeneinander leben. Überlege ich es mir so, dann hat der Krieg und die große Propaganda eine stille und starke Veränderung in dem Menschen hervorgerufen. Man muss sich dem entziehen und wieder freien Geistes werden.“ [15. 1. 1943]


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In der Nacht träumte ich. Die näheren Umstände kenne ich nicht mehr. Ich wusste, dass ich sterben würde. Für eine größere Sache. Doch ich war überaus betrübt. Hat dein kurzes Leben schon einen Sinn gehabt? Hast du schon genug vom Leben genossen, dass du ruhig sterben kannst? Antwort gab ich mir darauf keine, doch war die hohe Aufgabe so weit vergessen, dass ich keine Freude über meinen Tod hatte, sondern nur dachte: dass nun alles zu Ende sei, das Bewusstsein für immer verloren, die Persönlichkeit mit ihren Erinnerungen, Gedanken und Sehnsüchten ausgelöscht, und darüber war ich unsagbar traurig. In dieser Traurigkeit dachte ich, ob es nicht doch ein Leben nach dem Tode gibt? Ob ich nicht doch wieder wach werde? In dieser Trübnis mag ich dann gestorben sein. –

Ich schrieb dies an Erika.“ [7. 3. 1944]


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Das Treffen mit Soyka war von einem unerklärlichen Glanz überstrahlt. Wie konnte mich dies Wiedersehen so tief rühren? Die Worte sind sehr dürftig, wenn sie das beschreiben wollen. – Als ich ihn nur zwei Meter vor mir stehen sah, zweifelte ich keinen Augenblick, dass er es sei. Es war eine Kälte, ja eine Todesstraße in mir, so dass ich an gar nichts dachte. Erst als er sich auf meinen Anruf hin drehte, ich seine Hand hielt und er mir auf den Oberarm klopfte, strömte mir alles Blut zum Herzen und trug aus allen Regionen das frohe Gefühl zu ihm hin, ihn wiederzusehen. Eine heimatliche Welle schwang um uns, die uns aus der Umgebung hinwegtrug in eine reine Welt. Sein scharf geschnittenes Gesicht erschien mir herrlicher als jemals. Alles an ihm war so vertraut. Etwas Schöneres hätte ich in diesem Augenblick nicht erleben können. Ich fühlte mich wie im Traum, und der Zweifel drängte mich zu fragen, ob ich ihn wirklich getroffen hätte. – Wie stark hätte mich erst eine noch innigere Begegnung – vielleicht mit Lili oder Eri – getroffen, wie übermächtig hätte es da erst in meiner Brust gewogt. – Nun kann ich mir vorstellen, was in meinen Leuten zuhause vor sich ging, wie sie das so unerwartete Wiedersehen in ihr Gemüt schrieben, mit schmerzlich hartem und süßem Griffel, und wie sie daran zehrten, noch lange nachdem ich abgereist war. Ursprüngliche und starke Eindrücke sind die des Abschieds und des Wiedersehens, und sie sind so leicht nicht festzuhalten. Musik könnte sie darstellen. Ich erinnere mich, Beethoven hat ein solches Werk geschrieben […]. Und ein Gedicht könnte es nachfühlen lassen, ein Gedicht, in dem sehr viel zwischen den Zeilen stünde.“ [12. 3. 1943]


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Heute sah ich das verhutzelte Großmütterchen wieder, das den Karren schob. Ein Bild von zwergenhaftem Reiz, und ich fühlte mich durch dieses eine alte überalltägliche Wesen in die Märchenwelt versetzt. Geschäftigkeit ohne Hintergedanken, bunt, krumm und trippelnd, und ich musste ihm nachschauen. Ein Tuch
war um ihr Haar geschlungen, der Kopf steckte völlig darin, alle Begriffe der Anatomie verwirrten sich, verliefen sich. Und dieses Tripp-trapp des ganzen Körpers fand durch die geradezu kunstvolle Erscheinung einen Widerklang in meinem Herzen: Tripp-trapp, – der Wagen reichte mit den beiden Holmen bis zur Schulter des Weibleins. Es hielt die Hände unverhältnismäßig hoch, tripp-trapp, das geht mir nicht aus dem Sinn, und ich möchte das Bild nimmer in meiner Seele verlieren.“ – [6. 7. 1943]


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Beim abendlichen Spaziergang sah ich das schönste Nordlicht bisher. Überaus farbig schlug es in Lohen über den Himmel, so gewaltig und schnell wie eine Naturkatastrophe. Jede der hastigen Wellen hatte eine andere eindringliche Farbe, und sie wetterten mit solcher Macht über den Himmel, dass das Gemüt erschrak. Erstaunlich war die Stille. Man hörte in diesem gewaltigen Brausen des Lichts keinen Ton, und die Seele lechzte so sehr danach. – Als der Sturm abgeebbt war, breitete sich ein süßer Friede aus. Ruhig lagen milchige Streifen über dem Himmel, die immer mehr verschwanden und schließlich in ein diffuses Licht übergingen. – Nach einer Weile sättigte sich das Nordlicht wieder, und Ähnliches wiederholte sich wie zu Anfang, doch nicht mehr in dieser Gewalttätigkeit. Die Farbe und Bewegung erstarrte in seltsamen Formen, die, oft Ringen ähnlich, sich um den Norden legten, oft wie Strahlenbündel, von der Sonne getroffene Orgelpfeifen, vom Winde zerfetzte flatternde weiße Wolken, sich langsamer bewegten. Einmal schien es, als ob die Sonne aufginge.Welch zwiespältige Empfindungen vermögen doch den Menschen mit seinen unvollkommenen Sinnen zu durchbeben. Die Erfahrung lässt ihn an das Licht Eigenschaften knüpfen, die er sein ganzes Leben lang für wahr hält, bis eines Tages eine umwälzende Erscheinung ihn eines anderen belehrt, ihn von seinem schwankenden Untergrund überzeugt. –
Darin liegt viel von der Wirkung des Nordlichts: es ist ein unvorstellbarer Anblick. Selbst der „Aufgeklärte“, der um die Erscheinung zu wissen glaubt, kann sich dem machtvollen Eindruck nicht entziehen. – Licht als Materie. Auch die Umkehrung hat der Norden geboren, Materie als Licht: Welche Bewunderung haben die angestrahlten Gletscher erweckt, welche Beklemmung das Nordlicht heute Abend. Es wälzte sich wie eine wuchtige Welle daher, kam auf dich zu, als wollte es dich erschlagen. Der Mensch erstaunte, da er keinen Laut hörte: Wo hätten jemals solche Massen sich bewegt ohne einen Ton? Der Verstand lächelt über die Torheit der Gefühlswallungen im Betrachter. Aber es hilft nichts.“ – [13. 1. 1944]



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